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Dennoch ging sie ganz bewusst
fast täglich dort einkaufen, um wenigstens ab und an etwas
Nettes zu hören. Der Vormittag verging wie immer: weder im
Fluge, noch ereignisreich. Wenigstens das Wetter schien sich
heute mal von seiner besten Seite zu zeigen. So schnappte sich
Melissa ihr Obst und begab sich zum nahe gelegenen Park, um
dort in Ruhe ihre Mittagspause zu verbringen. Aber nichts da,
von wegen Ruhe: alle Kinder und Hunde dieser Stadt schienen
sich heute mal wieder hier verabredet zuhaben.
Aber nun gut, heute gab es
jedenfalls Äpfel, Ananas und Bananen. Melissa ernährte sich
schon seit Jahren überwiegend von Früchten und Gemüse. Doch was
hatte es ihr gebracht? Außer ein paar Kilo und zwei
Kleidergrößen weiniger rein gar nichts. Gut, sie war kaum noch
krank. Außer im Kopf, wie sie sich ganz sicher
war.
Sie war gerade im Begriff, in
einen leckeren Apfel zu beißen, als sie unverhofft angesprochen
wurde: "Schön, dass Du da bist."
Was hatten diese wohltuenden
Worte hier außerhalb des Gemüseladens zu suchen? Verwundert
schaute Melissa auf und blickte in die strahlenden Augen eines
ungefähr achtjährigen Mädchens.
"Darf ich mich zu dir
setzen?"
Das Mädchen setzte sich neben
Melissa auf die Bank, ohne die Antwort abzuwarten. Merkwürdig,
wie kam ein fremdes kleines Fräulein dazu, ihr solch herrliche
Worte zu sagen?
"Wieso freust du dich darüber,
dass ich da bin?" Melissa hielt noch immer den Apfel in der
Hand.
"Nun, wieso nicht?" antwortete
die Kleine ganz selbstverständlich.
"Nun, also, weil..., ich
meine..., na ja, ich weiß auch nicht. Ja wieso eigentlich
nicht?"
Belustigt über ihre eigene
Unbeholfenheit verirrte sich doch tatsächlich ein Lächeln auf
Melissas Gesicht.
"Möchtest du einen
Apfel?"
"Ja gerne."
Während die Kleine mit
offensichtlicher Begeisterung in den Apfel biss, suchte Melissa
nach den richtigen Worten. Sie spürte die Freude und die
Herzlichkeit, die dieses Mädchen ausstrahlte.
"Sag mal, freust du dich über
jeden Menschen, den du triffst?"
"Na klar" kam es etwas undeutlich
aus einem mit Apfel gefüllten Mund.
"Kannst du mir das etwas genauer
erklären?"
Der Blick auf die Uhr verriet
Melissa, dass sie eigentlich nicht mehr viel Zeit hatte. Doch
irgendetwas aus ihrem tiefsten Inneren hielt sie gerade fest an
diesem Ort.
"Als ich noch ganz klein war,
schenkte mir meine Mutti einen Spiegel. Sie sagte mir, ich
solle jeden Morgen gleich nach dem Erwachen in diesen Spiegel
hinein schauen und "Schön, dass Du da bist" sagen. Als ich sie
fragte, warum ich das denn tun solle, meinte sie nur: "Wenn du
das bis zum Rest deines Lebens tust, wirst du nicht nur einen
tollen Tag, sondern auch ein ganz, ganz schönes Leben haben".
Genauso hat sie es gesagt."