Grosse Ereignisse werfen ihre
Schatten voraus. Na ja - nicht immer. Jedenfalls nicht für
Melissa, als sie an diesem Morgen schlaftrunken wie immer ins
Bad torkelte und nicht die leiseste Ahnung davon hatte, wie
sich ihr Leben in den nächsten Stunden verändern würde. Der
Blick in den Spiegel offenbarte ihr wie jeden Tag einen Mangel
an Schlaf und posaunte ihr dazu auch noch eindeutig ihre
frostige Laune entgegen.
"Na toll, wieder so ein Montag,
den kein Mensch braucht."
Begleitet von solch aufbauenden
Worten stieg sie lustlos und demotiviert in die Dusche und ließ
das heiß-warme Wasser über ihren Körper fließen. Das war es
also für heute, das Highlight des Tages. Melissa hasste ihren
Job und konnte sich dennoch nicht von ihm lösen. Sie brauchte
das Geld. Aber es war ja nicht nur die Arbeit. Seit einigen
Wochen ereignete sich eine Unannehmlichkeit nach der anderen.
Kaum hatte sie sich z.B. zum Essen hingesetzt, klingelte
hartnäckig das Telefon. Sie war zwar schon so schlau gewesen,
den Stecker heraus zu ziehen, doch dann klingelte es an der
Haustür oder das Leben ließ sich etwas anderes einfallen, um
ihr den Tag noch mehr zu vergällen.
Auf der Arbeit schien kaum jemand
Notiz von ihr zu nehmen, außer vielleicht ihr Chef, wenn es mal
wieder etwas zu kritisieren gab. War sie einmal unterwegs, um
bei den Kollegen eine hilfreiche Antwort auf ein Problem zu
ergattern, wurde sie immer nur wie ein Störenfried
behandelt.
Na danke! Dass irgendetwas mit
ihrem Selbstwertgefühl nicht stimmen konnte, war ihr schon eine
Zeit lang klar. Ein Psychotest in irgendeiner Frauenzeitschrift
hatte ihr dies auch noch einmal eindeutig
bestätigt.
Sie hatte daraufhin sogar einen
Kurs in der Volkshochschule gebucht: "Verbessere Dein
Selbstwertgefühl". Als sie dort am ersten Abend erschien, wurde
ihr mitgeteilt, dass der Kurs aufgrund einer ernsthaften
Erkrankung der Leiterin erst im Herbst stattfinden würde. Nun
war eindeutig klar, dass das Leben etwas gegen sie hatte.
Schemenhaft huschten diese Ereignisse durch ihren Kopf, noch
während sie sich auf den Weg zur Arbeit machte.
Bei ihrem Gemüsehändler ein paar
Straßen weiter machte sie einen kurzen Halt, um sich ihr
Obstfrühstück zu besorgen. "Schön, dass Sie wieder da sind,
Fräulein Melissa." Er nannte sie immer etwas altmodische
Fräulein Melissa. Bei ihrem ersten Einkauf hatte er sie
freundlich nach ihrem Vornamen gefragt. Auf ihre Frage, wozu er
dies denn wissen wolle, hatte er geantwortet: "Na ja, so ein
schönes und liebenswertes Fräulein wie Sie sollte einen Namen
haben und nicht einfach nur "guten Tag" heißen."
Sie und schön, haha und von wegen
liebenswert. Dessen ungeachtet hatte sie sich kurzfristig für
etwas Besonderes gehalten, bis sie feststellte, dass der gute
Mann alle seine Kunden so freundlich behandelte. "Nichts als
Taktik, um das Geschäft anzukurbeln."