Die Abstände wurden kürzer. Der
Alkoholkonsum nahm lange Zeit kaum zu, aber die Häufgkeit und
dann langsam auch die Menge. Ich dachte damals immer, Mann,
alle Anderen feiern doch auch und überhaupt, wenn nichts
anliegt, kann ich doch auch mal ein paar Bier trinken. Diese
Einstellung behielt ich bis zum Schluss bei. Immer wieder
Streitereien mit meiner Frau. Bierflaschen in der Schrankwand,
mit dem Salatmesser wollte ich mich umbringen, die Pulsadern
aufschneiden, ich habe Disco gemacht, das ganze Haus
tyrannisiert. Klar nur meine Familie. Als mein Nachbar
klingelte und sagte, mach mal leiser, habe ich sofort klein bei
gegeben.
Immer wieder Versöhnung und dann
kam Kind Nummer 5. Wir wollten es, aber eigentlich war es in
der damaligen Zeit völlig unverantwortlich. Das Gleiche galt
bei unserer Kleinsten. Nichtsdestotrotz, möchte ich keins
meiner Kinder missen. Mittlerweile kann ich mich auch viel
besser um sie kümmern, nehme ihre Sorgen ernst, höre zu. Heute
sage ich, klar super unsere Kinder. Aber nach damaligen
Maßstäben hätte ich keine Kinder mehr in die Hand bekommen
dürfen.
Zusätzlich kamen dann finanzielle
Probleme. Wir waren inzwischen in ein Haus gezogen. Wir konnten
jedoch die Kredite für unser Haus nicht mehr bedienen. Unser
Auto brannte ab und ich habe es nicht geschafft, die
Versicherung zur Zahlung zu bewegen. Damit konnte ich nicht
umgehen und ließ meine Wut über diese beschissene Gesellschaft
an meiner Familie aus.
Ich war in dieser Zeit bereits in
eine Lethargie verfallen, welche mich eigentlich nur noch
pessimistisch durch die Welt gehen ließ. Ich habe angefangen
Rechnungen nicht zu beachten, immer wenn ich merkte, dass mir
jemand an die Wäsche wollte, habe ich erst reagiert. Zum
Beispiel das Finanzamt, da habe ich nicht die KFZ Steuer
bezahlt. Erst als dann so ein Gerichtsvollzieher, an der
Kennzeichentafel meines Fahrzeugs die Marke abgekratzt hat,
habe ich versucht die Schulden zu bezahlen. Denn ein Auto
brauchte ich ja. Wie ich dann das Auto wieder zugelassen habe,
wie ich das geschafft habe, ich weiß es nicht. Irgendwann habe
ich die finanziellen Dinge meiner Frau in die Hand gedrückt.
Mann, ich konnte sowas von „mein Leben nicht mehr meistern“,
aber volle Banane!!!
Wie oft habe ich mich vor anderen hingestellt und mit meinem Intellekt geglänzt, was ich alles schon gemacht habe, nur um meine vielen Unzulänglichkeiten zu überspielen. Wie oft habe ich mich in den Vordergrund gestellt um gesehen, bewundert zu werden. Mit all dem, mit dem ich im normalen Leben nicht glänzen konnte. Das Haus wurde dann zwangsversteigert, Gehaltspfändungen, Kontopfändungen usw. Diese Dinge waren absolut nicht schuld an meine Sauferei. Aber die Sauferei war sicherlich daran schuld, dass ich mich nicht effektiv um diese Probleme kümmern konnte.
Wir sind dann in eine Wohnung in
der Stadt gezogen. Jetzt kam alles zusammen, mein Versagen,
Gefühle, welche ich nicht mehr hatte. Ich wusste nicht mehr, ob
ich meine Frau liebte. Ich konnte schon Jahre kein Unrecht mehr
einsehen um Verzeihung bitten und dabei eine Träne verdrücken.
Wie taub, der Alkohol hatte endgültig die Oberhand. Jeden Tag
und wer nicht wollte wie ich wurde nieder gemacht. Im Suff
konnte ich all das sein, was ich im richtigen Leben nicht
geschafft habe. Ich fühlte mich als Versager! Als mehr habe ich
mich nicht mehr gesehen. Erbärmlich habe ich mich in meinem
Selbstmitleid gesuhlt.
Ich habe meine Frau
verantwortlich für mein Versagen gemacht, ich habe sie aufs
Äußerste beleidigt, um von meiner Sauferei abzulenken bzw. um
ihr alle Schuld zu geben. Eine Rechtfertigung mit
Freifahrtsschein zum Saufen für mich.
Dann ist meine Frau abgehauen.
Mit den Kindern. Das war noch nie. Die ersten beiden Tage habe
ich einfach weitergesoffen. War ja sowieso scheißegal.
Irgendwann sagte meine Frau am Telefon, entweder Du suchst Dir
Hilfe oder ich lass mich scheiden. Ich stand an der Weggabelung
und ich konnte mich entscheiden, in welche Richtung es gehen
soll. Ich war nüchtern und hatte seit langem wieder klare
Gedanken. Ich wollte damals nur erst mal nicht mehr saufen,
damit meine Frau zurück kommt. Da dachte ich gar nicht so sehr
an Liebe. Es ging eigentlich mehr um Gewohnheit, um meinen
Egoismus. Ich hatte auch Angst, vor dem Alleinsein.
Hilfe, wer soll mir helfen.
Alkohol, wer hilft solchen Assi's. So dachte ich. Soziale
Kontakte, nichts! Im Internet fand ich die Anonymen
Alkoholiker. Die kannte ich vom Hören- Sagen. Da gab es ein
Online Meeting. Ich las und las und fand die, denen es genauso
wie mir erging, die ähnlich dachten, fühlten. Das war der
Anfang. Die erste trockene Woche war die Hölle. Ich war zu
feige, in eine Entziehungsklinik zu gehen. Da habe ich lieber
zu Hause gehockt und mich mit dem Entzug herumgequält. Heute
würde ich das so nicht mehr machen. Aber was wußte ich damals
schon?
Eins habe ich damals sehr schnell
annehmen können. Lass das erste Glas stehen, für Heute. Dieses
Heute, immer nur für Heute trocken bleiben, dass half mir
ungemein. Das ich Alkoholiker war, dass habe ich nach einigen
Wochen akzeptieren können. Ich Sylvio, Alkoholiker, dass kam
nicht sofort bei mir an. Ich dachte damals, ich hätte ein
Problem mit Alkohol, aber Alkoholiker? Da klingt "Ich habe ein
Problem mit Alkohol" harmloser. Aber das Problem hatte ich auch
bei anderen Dingen. Nie Klartext, immer Wischi Waschi. Vor
allem mir selbst gegenüber.
Meine Frau ist zurück gekommen,
ich trank ja nun nichts mehr. Das Online Meeting hat sie nicht
wirklich überzeugt. So richtig reden konnten wir damals immer
noch nicht. Ich igelte mich auch ein. Ließ wenig aus mir
heraus, da ich immer noch die Fehler bei anderen suchte, ja
selbst bei AA suchte ich nach Fehlern. Wie immer in meinem
Leben, ich suchte immer nach dem Trennenden, nie nach dem was
verbindet.
Ich hatte noch lange nicht meinen
Tiefpunkt erreicht. Ich habe mit dem Trinken aufgehört um meine
Frau zurückzugewinnen. Ich habe überhaupt nichts mit dem
Programm der AA, den 12 Schritten usw. anfangen können. Ich
wollte nicht in ein F2f Meeting, da hätten sie mich ja vor
Augen gehabt, wer weiß was die von mir denken und mich dort
outen und dann erkennt mich da noch jemand. Ich wollte nicht,
ich zeterte und lehnte alles kategorisch ab. Das war mein
Denken. So wie ich über AA dachte, so war ich auch, als ich
noch soff. Ein kleiner Stinker eben. Ich war nicht bereit über
diese Dinge in meinem Leben nachzudenken, die falsch gelaufen
sind. Ich habe nichts getrunken und das klappte doch gut. Ich
hatte auch immer noch die Vorstellung: "Na irgendwann, da
kannst Du sicher mal ein oder zwei Bier trinken." Das war meine
damalige Realität für mich. Meine Wahrheit. Komischerweise
blieb ich aber bei meinem Onlinemeeting und blieb, noch viel
komischer, trocken. Viel wurde immer über den Tiefpunkt
geredet. Ich dachte, na den hatte ich schon. Meine Frau ist
abgehauen. Das war doch wohl Tiefpunkt genug und gesoffen habe
ich seit dem nicht mehr. Muss doch der Tiefpunkt gewesen
sein.