Onlinemeeting der Anonymen Alkoholiker

Ich bin Sylvio, Alkoholiker - Seite 5


Die Abstände wurden kürzer. Der Alkoholkonsum nahm lange Zeit kaum zu, aber die Häufgkeit und dann langsam auch die Menge. Ich dachte damals immer, Mann, alle Anderen feiern doch auch und überhaupt, wenn nichts anliegt, kann ich doch auch mal ein paar Bier trinken. Diese Einstellung behielt ich bis zum Schluss bei. Immer wieder Streitereien mit meiner Frau. Bierflaschen in der Schrankwand, mit dem Salatmesser wollte ich mich umbringen, die Pulsadern aufschneiden, ich habe Disco gemacht, das ganze Haus tyrannisiert. Klar nur meine Familie. Als mein Nachbar klingelte und sagte, mach mal leiser, habe ich sofort klein bei gegeben.
Immer wieder Versöhnung und dann kam Kind Nummer 5. Wir wollten es, aber eigentlich war es in der damaligen Zeit völlig unverantwortlich. Das Gleiche galt bei unserer Kleinsten. Nichtsdestotrotz, möchte ich keins meiner Kinder missen. Mittlerweile kann ich mich auch viel besser um sie kümmern, nehme ihre Sorgen ernst, höre zu. Heute sage ich, klar super unsere Kinder. Aber nach damaligen Maßstäben hätte ich keine Kinder mehr in die Hand bekommen dürfen.
Zusätzlich kamen dann finanzielle Probleme. Wir waren inzwischen in ein Haus gezogen. Wir konnten jedoch die Kredite für unser Haus nicht mehr bedienen. Unser Auto brannte ab und ich habe es nicht geschafft, die Versicherung zur Zahlung zu bewegen. Damit konnte ich nicht umgehen und ließ meine Wut über diese beschissene Gesellschaft an meiner Familie aus.
Ich war in dieser Zeit bereits in eine Lethargie verfallen, welche mich eigentlich nur noch pessimistisch durch die Welt gehen ließ. Ich habe angefangen Rechnungen nicht zu beachten, immer wenn ich merkte, dass mir jemand an die Wäsche wollte, habe ich erst reagiert. Zum Beispiel das Finanzamt, da habe ich nicht die KFZ Steuer bezahlt. Erst als dann so ein Gerichtsvollzieher, an der Kennzeichentafel meines Fahrzeugs die Marke abgekratzt hat, habe ich versucht die Schulden zu bezahlen. Denn ein Auto brauchte ich ja. Wie ich dann das Auto wieder zugelassen habe, wie ich das geschafft habe, ich weiß es nicht. Irgendwann habe ich die finanziellen Dinge meiner Frau in die Hand gedrückt. Mann, ich konnte sowas von „mein Leben nicht mehr meistern“, aber volle Banane!!!

Wie oft habe ich mich vor anderen hingestellt und mit meinem Intellekt geglänzt, was ich alles schon gemacht habe, nur um meine vielen Unzulänglichkeiten zu überspielen. Wie oft habe ich mich in den Vordergrund gestellt um gesehen, bewundert zu werden. Mit all dem, mit dem ich im normalen Leben nicht glänzen konnte. Das Haus wurde dann zwangsversteigert, Gehaltspfändungen, Kontopfändungen usw. Diese Dinge waren absolut nicht schuld an meine Sauferei. Aber die Sauferei war sicherlich daran schuld, dass ich mich nicht effektiv um diese Probleme kümmern konnte.

Wir sind dann in eine Wohnung in der Stadt gezogen. Jetzt kam alles zusammen, mein Versagen, Gefühle, welche ich nicht mehr hatte. Ich wusste nicht mehr, ob ich meine Frau liebte. Ich konnte schon Jahre kein Unrecht mehr einsehen um Verzeihung bitten und dabei eine Träne verdrücken. Wie taub, der Alkohol hatte endgültig die Oberhand. Jeden Tag und wer nicht wollte wie ich wurde nieder gemacht. Im Suff konnte ich all das sein, was ich im richtigen Leben nicht geschafft habe. Ich fühlte mich als Versager! Als mehr habe ich mich nicht mehr gesehen. Erbärmlich habe ich mich in meinem Selbstmitleid gesuhlt.
Ich habe meine Frau verantwortlich für mein Versagen gemacht, ich habe sie aufs Äußerste beleidigt, um von meiner Sauferei abzulenken bzw. um ihr alle Schuld zu geben. Eine Rechtfertigung mit Freifahrtsschein zum Saufen für mich.
Dann ist meine Frau abgehauen. Mit den Kindern. Das war noch nie. Die ersten beiden Tage habe ich einfach weitergesoffen. War ja sowieso scheißegal. Irgendwann sagte meine Frau am Telefon, entweder Du suchst Dir Hilfe oder ich lass mich scheiden. Ich stand an der Weggabelung und ich konnte mich entscheiden, in welche Richtung es gehen soll. Ich war nüchtern und hatte seit langem wieder klare Gedanken. Ich wollte damals nur erst mal nicht mehr saufen, damit meine Frau zurück kommt. Da dachte ich gar nicht so sehr an Liebe. Es ging eigentlich mehr um Gewohnheit, um meinen Egoismus. Ich hatte auch Angst, vor dem Alleinsein.

Hilfe, wer soll mir helfen. Alkohol, wer hilft solchen Assi's. So dachte ich. Soziale Kontakte, nichts! Im Internet fand ich die Anonymen Alkoholiker. Die kannte ich vom Hören- Sagen. Da gab es ein Online Meeting. Ich las und las und fand die, denen es genauso wie mir erging, die ähnlich dachten, fühlten. Das war der Anfang. Die erste trockene Woche war die Hölle. Ich war zu feige, in eine Entziehungsklinik zu gehen. Da habe ich lieber zu Hause gehockt und mich mit dem Entzug herumgequält. Heute würde ich das so nicht mehr machen. Aber was wußte ich damals schon?
Eins habe ich damals sehr schnell annehmen können. Lass das erste Glas stehen, für Heute. Dieses Heute, immer nur für Heute trocken bleiben, dass half mir ungemein. Das ich Alkoholiker war, dass habe ich nach einigen Wochen akzeptieren können. Ich Sylvio, Alkoholiker, dass kam nicht sofort bei mir an. Ich dachte damals, ich hätte ein Problem mit Alkohol, aber Alkoholiker? Da klingt "Ich habe ein Problem mit Alkohol" harmloser. Aber das Problem hatte ich auch bei anderen Dingen. Nie Klartext, immer Wischi Waschi. Vor allem mir selbst gegenüber.
Meine Frau ist zurück gekommen, ich trank ja nun nichts mehr. Das Online Meeting hat sie nicht wirklich überzeugt. So richtig reden konnten wir damals immer noch nicht. Ich igelte mich auch ein. Ließ wenig aus mir heraus, da ich immer noch die Fehler bei anderen suchte, ja selbst bei AA suchte ich nach Fehlern. Wie immer in meinem Leben, ich suchte immer nach dem Trennenden, nie nach dem was verbindet.
Ich hatte noch lange nicht meinen Tiefpunkt erreicht. Ich habe mit dem Trinken aufgehört um meine Frau zurückzugewinnen. Ich habe überhaupt nichts mit dem Programm der AA, den 12 Schritten usw. anfangen können. Ich wollte nicht in ein F2f Meeting, da hätten sie mich ja vor Augen gehabt, wer weiß was die von mir denken und mich dort outen und dann erkennt mich da noch jemand. Ich wollte nicht, ich zeterte und lehnte alles kategorisch ab. Das war mein Denken. So wie ich über AA dachte, so war ich auch, als ich noch soff. Ein kleiner Stinker eben. Ich war nicht bereit über diese Dinge in meinem Leben nachzudenken, die falsch gelaufen sind. Ich habe nichts getrunken und das klappte doch gut. Ich hatte auch immer noch die Vorstellung: "Na irgendwann, da kannst Du sicher mal ein oder zwei Bier trinken." Das war meine damalige Realität für mich. Meine Wahrheit. Komischerweise blieb ich aber bei meinem Onlinemeeting und blieb, noch viel komischer, trocken. Viel wurde immer über den Tiefpunkt geredet. Ich dachte, na den hatte ich schon. Meine Frau ist abgehauen. Das war doch wohl Tiefpunkt genug und gesoffen habe ich seit dem nicht mehr. Muss doch der Tiefpunkt gewesen sein.