Schon in der Kindheit kommt
Jürgen mit Alkohol in Berührung. "Oft waren es Mutproben. Um
nicht im Abseits zu landen, hat man mitgetrunken." In der
fünften Klasse gewinnt er beispielsweise am Schießstand auf dem
Rummel eine Flasche Wein, die er mit Kumpels leert. Anstandslos
wurde ihm der Wein ausgehändigt . "Das war früher nicht anders
als heute"sagt Jürgen. Auch der Männertag wird von klein auf
gefeiert, später folgen Trinkgelage in der Lehre, bei
Familienfeiern, im Kollektiv und beim Sonntags-Frühschoppen mit
dem Vater. "Ich wollte stets bis zum Schluss durchhalten, der
Größte sein." Damals treten erste Probleme in der ersten Ehe
auf, weil er alles vernachlässigt. Doch das ist Jürgen egal.
Nach außen scheint weiterhin die Sonne. Finanzprobleme gibt es
nicht - noch nicht. Er kommt in Schlips und Kragen daher,
beruflich läuft ja alles optimal - bis er versetzt wird und
irgendwann alles hinschmeißt. Doch bis dahin trinkt er noch
etliche Liter Schnaps und Bier. Gesellschaftlich tätig sei er
gewesen, sagt Jürgen. Mehr gibt er nicht preis. "Mein
Alkoholkonsum hatte jedenfalls nichts mit Sorgen zu tun, eher
mit Erfolgen." Morgens führt sein erster Weg am Kiosk vorbei,
dort deckt er sich mit Flachmann und Bier ein. Gegen den
verräterischen Fusel-Geruch sollen Pfeffis und
Sicherheitsabstand zu den Kollegen helfen. "Man bildet sich ja
ein, das merkt keiner" - auch zu Hause. Später erzählen ihm die
Kinder, dass sie jedes seiner Verstecke kannten. Und seine
dritte Frau berichtet, dass sie sich morgens das Kissen über
die Ohren zog, weil sie es nicht mehr hören konnte, wenn er
würgen musste. "Trockenkotzen"nennt Jürgen das. "Da ist der
Brechreiz so stark, dass die Augen herausquellen." Aber er
verniedlicht die Situation weiter. "Ich dachte, ich kann
jederzeit aufhören." Ein Trugschluss. Zumal er nun in einer
Kneipe jobbt. Er schläft und trinkt, schläft und trinkt - bis
er 48 Jahre alt ist. "In dem Alter ist mein Vater gestorben, an
den Folgen des jahrelangen Alkoholkonsums. Das wollte ich
nicht."
Er fährt in seinen Bungalow,
trinkt alles weg, was da ist und macht mit Hilfe einer
Bekannten einen kalten Entzug. "Die Krämpfe waren so schlimm
dass ich dachte, ich muss sterben." Er überlebt, führt seitdem
ein trockenes Leben. "Zu begreifen, dass man Hilfe braucht, ist
der Schlüssel für die Trockenheit "betont Jürgen. " Aber am
Ende bin ich für mich allein verantwortlich - jeden Tag aufs
Neue."