"... Wir reden, bzw. schreiben hier nur von uns und unseren Erfahrungen. In meinem realen Meeting weisen wir da immer sehr ausdrücklich drauf hin.
Ich weiß nicht, ob du schon mal
in einem Meeting warst und Dich mit Al-Anon oder AA auskennst.
Diese Art zu Reden ist anfangs sehr ungewohnt. Es sitzen viele
Leute an einem Tisch und alle reden nur nacheinander. Niemand
unterbricht den anderen durch eine Frage. Niemand redet
dazwischen. Jeder versucht nur von sich zu reden. Es finden
keine Diskussionen statt. Es werden keine Ratschläge gegeben.
Das ist gerade am Anfang ziemlich ungewohnt.
Mir erging es anfangs auch so. Es
kam mir auch ziemlich bescheuert vor, denn in mir drängten sich
ganz oft Fragen nach oben, Aussagen von den redenden
Teilnehmern zu hinterfragen oder zu deuten. Da war ich nämlich
ziemlich gut drin. Das war ich so gewohnt.
Doch in einem Meeting muss man
sich per Handzeichen melden und der Meetingsleiter vermerkt die
Wortmeldungen und man kommt der Reihe nach dran. Anfangs
meldete ich mich fleißig, wenn in mir etwas angesprochen wurde.
Doch weil zwischen meinem Melden und dem Drankommen oft noch
mehrere Beiträge anderer Teilnehmer standen, wusste ich dann
gar nicht mehr, warum ich mich gemeldet hatte.
Seltsam und schwer auszuhalten
war für mich auch, wenn jemand etwas ziemlich Dramatisches
erzählte und der nächste Teilnehmer sprach von etwas ganz
Anderem - was überhaupt keinen Bezug zu dem hatte, was der
Vorgänger erzählt hatte. Das deutete ich als totale
Gleichgültigkeit und es machte mich am Anfang
fassungslos.
Nun gehe ich schon einige Jahre
in Meetings und durfte erleben, wie sinnvoll diese Regeln der
Gespräche doch sind. Und wie befreiend sie sein können. Ich
rede zu einem Thema, schaue nur bei mir, was es mit mir macht.
Niemand unterbricht mich und ich ende manchmal mit Themen, von
denen ich vorher nicht einmal wusste, dass sie mich
bedrücken.
Manchmal bin ich ganz erstaunt,
über das, was da so aus mir rauskommt. Es fällt mir immer noch
schwer, keine Ratschläge zu geben, denn manchmal drängt es mich
dazu - doch wenn ich bei mir bleibe, kommt manchmal ein guter
Ratschlag für mich selber heraus. Denn in meinem Kopf klären
sich Dinge, die ich vorher nicht gesehen habe.
Früher fühlte ich mich sehr
angegriffen, wenn jemand im Meeting mich auf solche Regel
hinwies. Doch weil ich mittlerweile weiß, wie wohltuend sie
sind, weise ich heute selber Anfänger darauf hin. Heute fühle
ich mich in einem Meeting sehr angegriffen, wenn jemand diese
Regeln außer Acht lässt, was immer mal wieder
passiert.
Ich merke förmlich, wie meine
ganzen Energien durch Hinterfragen und Deutungen anderer
gestoppt werden. Das fühlt sich dann nicht mehr gut an. Und ich
wehre mich heute, wenn jemand dies mit mir machen will.
Hier im Online-Meeting ist es
etwas anders. Weil die Mails oft verzögert eintreffen, ist es
manchmal notwendig zu schreiben, auf welche Mail man sich
bezieht. Doch trotzdem sollten wir nur von unseren Erfahrungen
schreiben.
Niemand sollte hier hinterfragt
oder angegriffen werden. Da ist es ganz egal, wenn wir/ich das
Gefühl haben, dass der Andere sich etwas vormacht. Es ist mein
Gefühl und es steht mir nicht zu, dies dem anderen
überzustülpen.
Auch unsere Mails sollten nicht
in Diskussionen ausarten. Es steht mir auch nicht zu, Aussagen
von Freunden therapeutisch zu deuten.
Ich habe die Erfahrung gemacht,
dass jede Deutung, die ich einem anderen überschieben will,
etwas mit mir zu tun hat. Es gibt dann meist eine Geschichte
oder eine Erfahrung, die ich für mich mit dieser Deutung
gemacht habe. Und die darf ich erzählen. Das lässt jedem die
Freiheit bei sich zu schauen, ob es bei ihm auch so sein
könnte. Doch das kann auch ganz anders sein. Und das Berichten
darüber hat mir schon oft ein AHA-Erlebnis
gebracht.
Ich kann nur von mir ausgehen,
doch kann ich nicht davon ausgehen, dass es bei anderen
Menschen genauso ist. Das war für mich schwierig zu
akzeptieren. Ich bin immer viel zu schnell bereit, alles in
einen Topf zu schmeißen, weil ich mich wohler damit fühle, als
wenn jemand etwas völlig anders sieht als ich. Doch zum Glück
für mich gibt es viele Menschen, die was anders sehen als ich.
..."