Onlinemeeting der Anonymen Alkoholiker

Die Steinpalme Seite 3


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Und der junge Baum nahm in all seiner Not seine Last an und verschwendete keine Kraft mehr an das Bemühen, den Stein abzuschütteln. Er nahm ihn in die Mitte seiner Krone. Er klammerte sich mit langen, kräftiger werdenden Wurzeln in den Boden, denn er brauchte mit seiner doppelten Last einen doppelten Halt.
Dann kam der Tag, an dem sich die Wurzeln der Palme so tief gesenkt hatten, dass sie auf eine Wasserader stiessen. Befreit schoss eine Quelle nach oben und sie hat diesen Platz hier zu einem Ort der Freude und des Wohlstands gemacht.
Nun, als der Baum festen Halt im Grund hatte und dort dauernde Nahrung fand, begann er, nach oben zu wachsen. Er legte breite, kräftige Fächerzweige um den Stein herum. Man konnte manches Mal meinen, dass er den Stein beschütze.

Sein Stamm gewann mehr und mehr an Umfang, und mochten auch alle anderen Palmen am Strand höher und lieblicher sein, der Palmbaum, den die Leute bald die Steinpalme nannten, war unbestritten der mächtigste Baum. Seine Last hatte ihn aufgefordert und er hatte den Kampf gegen seinen Kleinmut aufgenommen. Er hat diesen Kampf gewonnen. Er hat eine Quelle freigelegt, die seither den Durst vieler löschte und, was sicher das Wichtigste ist, der Baum hat seine Last angenommen und hoch hinausgetragen. Sie liegt auch heute noch auf seinem Herzen, aber sie ist in seinem Dasein an eine Stelle gerückt, die sie tragbar macht. Nur die äussere Last erscheint uns untragbar. Ist sie angenommen, wird sie Teil von uns selbst."
Raman, der Erzähler, legte beide Hände an den Stamm der grossen Palme. Das Feuer war fast niedergebrannt. Die Zuhörer verliessen einer nach dem anderen den Platz. Nur einer blieb noch. Er war spät gekommen und hatte ein wenig abseits gesessen. Er setzte sich nun zu Raman, und beide sassen lange ohne Worte.
"Ich bin der Mann, der den Stein auf die Palme gedrückt hat", sagte der Mann. " Ich hatte es vergessen, doch deine Erzählung weckte alles wieder auf. Was soll ich tun? Ich fühle Schuld."
"Dann trage diese Schuld wie der Baum den Stein", antwortete Raman. "Nimm die Schuld an.. Versuche, soviel du vermagst, davon in Liebe zu verwandeln. Vergiss dabei nicht, dass Liebe etwas ist, was man tun muss. Es nützt nichts, sie nur zu erkennen und um ihre Notwendigkeit zu wissen. Liebe ist Leben und wächst allein aus dem Tun."

Die Männer sassen noch lange unter der Palme, und es war ein leichter Wind, der das Feuer wieder zum Brennen brachte